16.08.2019 Von Berlin Rummelsburg nach Köpenick – 9 Kilometer – 1 Stunde
Am Freitag, den 16. August 2019, geht es für uns morgens auf der Spree weiter Richtung Südosten. Wir machen bereits nach zehn Minuten einen Stopp am Gelände des Funkhauses Berlin in der Nalepastraße. An der Spundwand davor lässt es sich gut festmachen, wenn auch die Tiefe etwas zu wünschen übrig lässt. Der Tiefenmesser ist auf Null, aber das Boot sitzt noch nicht fest. Da der Untergrund schlammig ist und daher keine Kratzer hinterlässt, passt das so. Notfalls drücken uns die zwei dicken Dieselmotoren aus dem Morast zurück in die Fahrrinne. Wir gönnen uns einen Cappuccino in der Milchbar, einem Lokal mit Originalausstattung aus DDR Zeiten.



Das ehemalige Funkhaus, früher Rundfunkanstalt der DDR, liegt im Berliner Stadtteil Treptow-Köpenick direkt an der Spree. Es ist einer dieser inspirierenden Orte. Aktuell sind dort neben besagter Milchbar und einem Restaurant unter anderem eine Musikhochschule (dBsBerlin Music), eine Filmhochschule (dBsBerlin Film), ein Plattenlabel und ein dänischer Designer mit Outlet angesiedelt. Der gesamte Komplex wurde im Bauhausstil errichtet und dient heute auch als Event Location. Man spricht eigentlich ausschließlich Englisch hier. Die auf der (äußerst empfehlenswerten!) Website des Funkhauses veröffentlichten tollen Fotos lassen erahnen, was das Areal zu bieten hat.






Nach Kaffee und Besichtigungstour geht es weiter nach Köpenick. Wir freuen uns schon seit einiger Zeit auf Köpenick. Es soll sehr schön dort sein. Schon die nur neun Kilometer kurze Fahrt von Rummelsburg nach Köpenick ist spannend. Die immer noch sehr urbane Spree bietet viele tolle Ausblicke. Hier ist noch massig Potential für Gentrifizierung.





Nach kurzer Fahrt erreichen wir Köpenick. Eine letzte Brückendurchfahrt unter der Lange Brücke wird noch gemeistert. Die Karte sagt Durchfahrtshöhe 4,43 Meter, zudem ist ein Pegel an der letzten Biegung vor der Durchfahrt angebracht, welcher die exakte Durchfahrtshöhe gemäß aktuellem Wasserstand angibt. Wir legen den Mast. Die AWOL ist nun inklusive Persenning noch 3,70 Meter hoch. Das passt, denken wir. Trotzdem kommt uns die Passage erstaunlich knapp vor.


Im Vorfeld haben wir erfolglos versucht, einen Hafen für unsere 15 Meter zu finden. Die auf der Edition Maritim Karte Nr. 4 ausgewiesenen Häfen des Cöpenicker Seglervereins und des Bootshauses Klar geben zwar 15 Meter-Liegeplätze an. Tatsächlich nehmen beide aber keine Boote unserer Größe auf, was ich auf telefonische Nachfrage erfahren muss. Also wird heute zum ersten Mal mit der AWOL geankert.
Wir fahren mittig in die Bucht vor der Schlossinsel in Köpenick und werfen den Anker bei etwa 3 Meter Wassertiefe. „Werfen“ ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck – ich betätige die Ankerwinde. Die läuft prima, seit wir sie in Rotterdam repariert haben, und so ist das Festmachen sehr viel schneller als das Anlegen im Hafen. Ich schalte noch die Ankerwache App an und fertig. Das hätten wir schon viel früher mal machen sollen, allerdings hatten wir ja jetzt längere Zeit kein Beiboot.


Vorteil am Ankern: Es gibt keine Ameisen an Bord. Nachteil am Ankern: Die Hunde können wir nicht einfach vor die Tür setzen. Schön wäre es nun, wenn der in Rotterdam mühsam hergerichtete Außenbordmotor des Beibootes auch laufen würde. Ich versuche, nach Wassern des Beibootes den Motor mit dem Seilstarter zu starten, aber das Schwungrad sitzt fest. Ich nehme den Anlassmechanismus dicht über der Wasseroberfläche auseinander, ohne eine Schraube ins Wasser fallen zu lassen, aber leider ohne Erfolg. Das Schwungrad lässt sich überhaupt nicht bewegen, obwohl der Starter einwandfrei funktioniert und auch kein Gang eingelegt ist.
Mich beschleicht eine üble Vorahnung. Wir haben den Motor beim Austausch des Beibootes neu gegen alt auf die Badeplattform der AWOL gelegt, nicht gestellt – eine Vorrichtung, um ihn senkrecht zu lagern, haben wir leider nicht an Bord. Ich vermute nun, dass Öl in die Zylinder gelaufen ist. Eine Reparatur wird langwierig und schmutzig. Das Thema wird verschoben.
Wir rudern die 100 Meter an Land, ist eh gesünder und auch für die Umwelt gut. Lisbeth versucht unterwegs, die Plastiknähte des Bootes aufzubeissen. Das Material, dieser Gummi, der so schön an den Zähnen quietscht, macht ihr große Freude. Versteht der Hund denn gar nix?

Karl Zuckmayers Theaterstück „Der Hauptmann von Köpenick“ dürfte allgemein bekannt sein und die Verfilmung mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle wahrscheinlich ebenfalls. Was ich bisher nicht wusste: die Geschichte ist wahr. Der Hochstapler Friedrich Wilhelm Voigt, ein Schuhmacher aus Ostpreussen, hat am 16. Oktober 1906 zusammen mit einem Trupp gutgläubiger Soldaten das Rathaus der Stadt als Hauptmann verkleidet besetzt. Voigt hat den Bürgermeister verhaften lassen und die Stadtkasse geraubt. Heute steht zum Andenken an den Hauptmann eine lebensgroße Figur vor dem Rathaus. Der Vorgang hat sogar zu einer neuen Wortschöpfung geführt. Als „Köpenickiade“ bezeichnet man heute eine Form der Hochstapelei, bei der durch Amtsanmaßung Gehorsam erschlichen wird.

Derzeit läuft in Köpenick eine Art Stadtfest, was meistens nicht so unser Ding ist. Die gesamte Innenstadt inklusive Schlossinsel ist belegt. Wir gehen an vielen Verpflegungsstationen, unzähligen Weinprobierstuben und Kunsthandwerk-Verkaufsständen vorbei. Ich bestelle vier Kartons Wein zu Nico nach Hause und kaufe ein Kilo Räucherfisch (Lachs und Buttermakrele).



An allen Ecken und Enden sitzen Musiker. Leider sind die Bühnen wohl etwas zu nah aneinander aufgebaut worden. Jede Band versucht sich mittels Lautstärke durchzusetzen. Die Lautsprecheranlagen laufen im oberen Grenzbereich. Wenn man am richtigen Ort zwischen zwei Live Acts steht – oder vor Anker in der Bucht -, dann überlagern sich die Melodien. Das klingt dann, als würde man eine Schallplatte rückwärts drehen. Eins A Show. Die meisten Leute finden das alles sehr toll hier. Nach ihrem Musikgeschmack gefragt, sagen diese Leute vermutlich: „Ich hör eigentlich alles“. Schrecklich! Wir suchen das Weite und laufen mit den Hunden in den Schlosspark zum defäkieren. Morgen reisen wir ab.


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