Von Wolfsburg nach Plaue/Brandenburg auf dem Mitteland- und dem Elbe-Havel-Kanal
24. Juni 2019: Von Wolfsburg nach Haldensleben – 54 km – 5,5 h
Ein weiterer Tag auf dem Mittellandkanal beginnt damit, dass ein Feldhase auf dem Damm mehrere hundert Meter mit uns um die Wette läuft. Und was soll ich sagen – er ist schneller. Zu unserer Verteidigung muss man allerdings wissen, dass wir uns unmittelbar hinter der Ausfahrt aus dem Yachthafen Wolfsburg einen voll beladenen Containerschubverband eingefangen haben. Der fährt 10 km/h max, in den Kurven deutlich langsamer. An ein Überholen dieses Kolosses ist nicht zu denken, daher lassen wir es gemütlich angehen.
Für das Auge bietet der Kanal jetzt mehr. Vor der ehemaligen „Zonengrenze“ durchqueren wir das Große Giebelmoor, ein Sumpfgebiet mit Bruchwald, das unter Naturschutz steht. Anlegen und spazieren gehen ist leider nicht möglich, aber auch vom Kanal aus ist es schön.

Apropos „Zonengrenze“, unser holländischer Nachbar in Wolfsburg hat uns vor dem Ablegen noch gefragt, ob man denn auf der Oder ohne weiteres über die polnische Grenze käme. Auch wenn der Standardspruch meines Vaters („kein Problem, zurück aber nur zu Fuß“) dem Niveau angemessen wäre, verweisen wir auf Schengen. Der Holländer wirkt nicht restlos überzeugt und fährt lieber Richtung Elbe-Seitenkanal.
In Anbetracht der drohenden Hitzewelle ist unsere Route jetzt genau durchgeplant. Während der Fahrt ist die Temperatur im Boot mit entsprechendem Durchzug okay. Sobald wir stehen, heizt sich das Boot in Nullkommanichts auf wie ein abgestellter PKW, und die Hunde brauchen Klimaanlage. Und die Klimaanlage braucht Strom, viel Strom. Liegeplätze ohne Strom fallen also für die nächsten Tage aus. Und Häfen mit Strom, in die wir reinpassen, gibt es auf unserer Strecke nur ganz, ganz wenige. Einer davon ist Haldensleben, deswegen haben wir dort reserviert.


Wir kommen um zwei Uhr nachmittags bei guter Hitze in Haldensleben an. Als wir den Strom anschließen wollen, stellen wir fest: Die Stromsäule hat nicht den allgemein üblichen Münzeinwurf, sondern ist mit speziellen Jetons zu betreiben. Die gibt es im Hafenbüro, und das macht erst um fünf auf. Super. Während sich bei mir schon leichte Gereiztheit breitmacht, findet Thomas vor dem Hafenbüro ein Körbchen mit Jetons und der Beschriftung „Vertrauenskasse“. Das ist eine sehr sympathische Lösung! Überhaupt ist der Hafen zwar nicht schön, aber nett.






Und dann diese Stadt – vielleicht ist es peinlich, aber wir haben den Namen zum ersten Mal gehört, als wir die Strecke geplant haben. Dabei ist es hier richtig toll! Das Kaff ist uralt – 996 n.C. wurde es das erste Mal urkundlich erwähnt. Und das Schöne ist – aus praktisch allen Episoden sind Gebäude erhalten. Mittelalter steht hier neben Klassizismus, und es harmoniert prächtig. Es gibt wirklich viel zu sehen, und wir bedauern, dass wir nicht einen Tag länger eingeplant haben.





Haldensleben erinnern uns sofort stark an die Orte, die wir im Osten direkt nach der Wende besucht haben. Es ist jetzt natürlich vieles renoviert, aber trotzdem merkt man auch 30 Jahre später auf Anhieb, dass man sich in einem der neuen Bundesländer befindet. Das Tolle ist, dass hier noch vieles steht, was im Westen schon längst durch Neubauten ersetzt oder jedenfalls abgerissen worden wäre.


25. Juni 2019: Von Haldensleben nach Plaue – 84 km – 10,5 h – 3 Schleusen – 1 Einbahnaquädukt
Lange Zeit hatten wir die Hoffnung, unser nächstes Ziel könnte Magdeburg sein, aber seit ein paar Tagen ist klar: Mit dem Wasserstand haut das keinesfalls hin. Sehr, sehr schade. Am Montagmorgen brechen wir deshalb deutlich früher auf als sonst. Vor uns liegt eine Strecke von über 80 km, dazu drei Schleusen. Davor gibt es keinen Hafen für uns.

Nachdem sich unser Autopilot gestern ab Mittag hitzefrei genommen hat, beschatten wir ihn heute von Anfang an mit einer notdürftigen Konstruktion aus Handtuch, Leselampe und Küchenrolle. Er wird es uns danken. Pralle Sonne mag er einfach nicht.


Das erste Hindernis auf der Strecke ist die über 900 Meter lange Kanalbrücke über die Elbe bei Magdeburg. Die darf immer nur in eine Richtung befahren werden, und die Berufsschifffahrt hat absoluten Vorrang. Glücklicherweise ist so unmittelbar nach dem Wochenende noch nichts los. Überall an den Verladestellen sehen wir lange Schlangen von Schiffen liegen, die erst noch be- oder entladen werden müssen, bevor sie losfahren können. Unsere Wasserkarte (Mittellandkanal und Elbeseitenkanal, Edition Maritim, 1. Auflage) behauptet, man solle sich per Funk bei der Revierzentrale für die Querung anmelden. Dort ist man ziemlich entnervt und verweist auf die Schleuse Hohenwarthe, UKW 26. Die Schleuse gibt das Okay für die Überquerung.




Nächstes ernsthaftes Hindernis: die Schleuse Hohenwarthe selbst. Der Hub beträgt hier fast 20 Meter. Das ist eine Menge Wasser, die da bewegt werden muss, und weil das Wasser schon wieder knapp ist derzeit, muss sich der Betrieb lohnen. Sprich, man lässt so viele Boote zusammenkommen, wie in die Schleuse reinpassen. In einem Blog haben wir von Wartezeiten von mehreren Stunden gelesen.
Es liegen schon zwei Sportboote an den Warteplätzen, als wir ankommen. Thomas vertreibt sich die Zeit mit Fauna- und Flora-Studien neben dem Anleger. Nach und nach trudeln weitere Boote ein. Glücklicherweise ist schon nach 40 Minuten die kritische Masse beisammen, und wir können in die Schleuse einfahren. Und es gibt sogar Schwimmpoller, das ist toll.


Das stellenweise etwas dröge Kapitel Mittellandkanal wird mit der Schleuse geschlossen. Ab jetzt sind wir auf dem Elbe-Havel-Kanal. Das Wasser ist hier nicht mehr grün, sondern blau. Langsam mehren sich die Brandenburg-typischen Kiefernwälder am Ufer. Frachtverkehr ist nur noch ganz wenig, auch später am Tag.


Die Schleuse Zerben geht dann flott. Die vier Sportboote, die seit der letzten Schleuse zusammengeblieben sind, genügen dem Schleusenwärter, um die Kammer zu entleeren. Nach der Mittagsflaute bremst uns nun heftiger Gegenwind um 2 km/h runter.




In Genthin verlieren wir auch die letzten Boote aus unserem kleinen Konvoi, die dort alle für die Nacht festmachen. Nur für uns ist längenbedingt kein Platz, leider, jedenfalls nicht mit Strom. Wir fahren daher weiter zur Schleuse Wusterwitz, die wir um vier Uhr erreichen. Allein werden wir nicht geschleust, also heißt es auf ein Berufsschiff warten.

Eine Dreiviertelstunde später meldet sich im Unterwasser ein Frachtschiff an, und der Schleusenwärter würde uns beim Entleeren der Kammer mit nach unten nehmen. Bloß leider springt der Backbordmotor nicht an. Thomas findet zwar recht schnell die Ursache (es ist mal wieder das Kabel vom Anlasser locker), aber die Schleusenkammer ist inzwischen geschlossen, und wir warten weiter. Wenigstens ist der Wind so stark, dass es bei den Hunden halbwegs kühl bleibt.

Um viertel vor sechs sind wir dann endlich unten. Direkt hinter der Schleuse liegt die ominöse Baustelle in einer Kurve, von der wir schon den ganzen Tag auf dem nautischen Informationsfunk gehört haben. Die Engstelle ist so schmal, dass wirklich nur ein Schiff durchpasst. Ob was entgegenkommt, kann man aufgrund der Kurve nicht sehen. Als wir in die Engstelle einfahren, funkt jemand in gebrochenem Deutsch. Es klingt wie „zu Tal“. Wir vergewissern uns per Funk, und tatsächlich, es kommt uns ein Frachtschiff entgegen. Also wird der Rückwärtsgang eingelegt, zurückgestoßen und gewartet, bis der polnische Kollege vorbeigekrochen ist.

Endlich ist frei. Oder doch nicht? Wir sehen weiter hinten in der Baustelle ein Schubboot rumdümpeln und hinter den Arbeitsplattformen verschwinden. Da auf unsere Funkmeldung keine Meldung zurückkommt, fahren wir wieder in die Engstelle ein. Kurz bevor wir die Arbeitsplattformen erreichen, schert der Schuber plötzlich wieder aus. Er hat anscheinend die Arbeiter nach Feierabend aufgenommen und kommt uns jetzt entgegen.
Der Kapitän des Schubers findet es erkennbar blöd, dass wir seinen Weg blockieren, und hält volle Kanne auf uns zu. Er möchte sein vermeintliches Vorfahrtsrecht durchsetzen. Auch wenn er im Unrecht ist, ist er doch erheblich mächtiger als wir. Zurückfahren ist keine Option in dieser Geschwindigkeit, deswegen muss ich die AWOL zwischen die Begrenzungsbojen quetschen und ihn durchlassen. Während uns das Schubboot passiert, fliegen etliche Unflätigkeiten zwischen dem aufgebrachten Gatten und dem garstigen Kapitän hin und her.
Hätten wir rechtzeitig reagiert und den ganzen Vorgang gefilmt, hätten wir das zur Anzeige gebracht. Solchen schwarzen Schafen gehört wirklich das Handwerk gelegt. Der Typ hat ernsthaft eine Kollision in Kauf genommen und dabei nicht nur unser Leben, sondern auch das der ungefähr 20 Arbeiter gefährdet, die ungesichert bei ihm vorne auf der Plattform saßen. Wir haben uns an dieser Stelle ja bereits öfter über Berufsschiffkapitäne ausgeheult, aber man muss schon mal sagen, dass das Ausnahmen sind. Die allermeisten sind vernünftig und rücksichtsvoll.
Hinter der Baustelle mündet der Kanal auch schon in den See, und es ist nicht mehr weit bis zu unserem reservierten Liegeplatz in der Marina Brandenburg-Plaue. Es passt ein bisschen zu dieser zweiten Tageshälfte, dass es dort auch nicht so toll ist…


Schreibe den ersten Kommentar