20. – 24. Oktober 2018 – 57,5 km – 18 Schleusen – 2 Schiffstunnel – 12 Stunden
Der Rhein-Rhône-Kanal gilt mit seinen 236 Kilometern Gesamtlänge und 114 Schleusen, insbesondere bei Niedrigwasser wie aktuell, als eine der anspruchsvollsten Wasserstraßen in Frankreich. Ein großer Teil der Fahrrinne verläuft hier irgendwo im Flüsschen Doubs, entweder mittig oder links oder rechts. Wo genau, sagen uns Tafeln am Ufer. Diese Tafeln bedeuten uns laufend, wieviel Meter wir exakt vom linken beziehungsweise rechten Ufer entfernt bleiben müssen, damit wir nicht auf Felsen auffahren. Ständig müssen wir durch Schätzung den Abstand erahnen. Wir nehmen uns dabei die Bugspitze zu Hilfe. Vom Ruderstand sind das etwa 10 m. Das rechnen wir dann in den geforderten Abstand um und liegen sicherlich falsch.

Wenn ich mich vorne an den Bug stelle und ins Wasser schaue, dann frage ich mich, weshalb wir noch nicht aufgelaufen sind. Die Felsen sind im flachen klaren Wasser sehr gut zu erkennen. Unser Schiff hat einen Tiefgang von 1,30 m. Der Kanalverwalter sagt uns, ab einem Tiefgang von 1,35 m sei es beim aktuellen Niedrigwasser extrem schwierig zu navigieren, und man müsse exakt in der Mitte der Fahrrinne bleiben. Auf 5 cm Wasser unter dem Rumpf können wir uns also verlassen, wenn wir uns nicht mit der Fahrrinne verschätzen. Wir finden uns damit ab, dass wir irgendwann auf Grund laufen werden, und hoffen auf die Stabilität unserer drei Kiele aus Stahl. Untergehen können wir dann ja wohl nicht, auch wäre das Ufer offensichtlich watend zu erreichen. Wir fahren dennoch extrem langsam. Die Geschwindigkeit ist meist eh auf 6 km/h begrenzt.
Gleich nach der Ausfahrt aus Dole gelangen wir auf einen extrem reizvollen Kanalabschnitt. Rechts zweigt der Canal Charles Quint ab, ein stillgelegter Stichkanal. Hier parken auf mehreren Hundert Metern tolle große Peniches, welche als Wohnboote und kleine B&Bs umfunktioniert wurden. Der Hauptkanal ist mit knorrigen alten Bäumen gesäumt. Hier wäre auch ein toller kleiner Anlegesteg in der Natur (PK 19). Den merken wir uns fürs nächste Mal.



Unser Kanal beschert uns neben Untiefen auch so einige Engstellen. Wir freuen uns, wenn links und rechts zwischen Kanalwand und Boot noch Platz für die Fender bleibt. Barbara meistert das auch ohne Heckstrahler wie ein Pro. An anderen Stellen müssen wir den Kopf einziehen. Irgendwie fühlen wir uns zu tief, zu breit und zu hoch hier. Wir sehen bisher auch fast keine anderen Boote, und wenn, dann sehr viel kleinere als die AWOL oder solche, die den Winter hierbleiben. Hätten wir die Warnung des VNF vielleicht ernster nehmen sollen?



Der Kanal läuft teilweise parallel zum Fluss Doubs und wird durch diesen gespeist.

Eigentlich wollen wir in einem kleinen Stadthafen bei Ranchot anlegen. Dort gäbe es Wasser und Strom und eine Bäckerei und ein Restaurant. Aber eine fette Peniche, die hier den Winter verbringt, und ein niederländischer Freizeitkapitän mit dickem Pilothouse Boot – der erste große Pott, der noch unterwegs ist – blockieren den kleinen Anleger. Wir fahren weiter. Kurz vor zwei Uhr reicht es uns heute, Samstag 20. Oktober, schon. Dieses sehr konzentrierte Fahren und Kartenlesen und Felsen am Grund anglotzen – die letzteren beiden mein Part – erschöpft uns sehr. Wir machen unser Lager frech am Warteponton vor der Schleuse bei Dampierre auf und gehen einfach mal davon aus, dass niemand mehr zum Schleusen kommt. Wir haben Glück hier, außer dem dicken Pilothouse kommt niemand vorbei, und der fährt direkt in die Schleuse ein. Die Sonne geht über dem Doubs unter, und wir genießen einen Sundowner.

Am Sonntag, 21.10., wachen wir bei unfassbar schöner Morgenstimmung auf. Die Sonne geht auch über dem Fluss auf. Der Kaffee wird an Deck genossen trotz sieben Grad. Der Platz hier ist viel schöner als der blockierte Stadthafen von Ranchot, und wir finden uns gerade sehr schlau.

Es wird heute richtig sonnig. Wir genießen das angesichts der Wetteraussichten für die nächste Woche. Die erzählen da was von Sturm und Regen und Schnee. Das wollen wir gar nicht hören. Es ist grad schön hier.

In der Nähe eines kleinen Weilers namens Le Maroc bei Boussières finden wir eine Anlegestelle, die uns Freudentränen ins Gesicht treibt. Ein historischer Steinquai thront hier über dem Wasserfall eines Damms im Fluss Doubs. Auf der anderen Flussseite steht eine Industrieruine, eine alte Papierfabrik – ein Filmset par excellence. Wir machen hier bereits mittags ganz vorne am Kai fest und kürzen unsere geplante Etappe ab. Wir genießen den 270°-Blick. Den ganzen Tag kommt kein einziges Boot vorbei. Epic!



Auf dem Weg nach Besançon müssen wir durch den Tunnel von Thoraise. Das ist der hässlichste Tunnel, den wir bisher mit der AWOL passiert haben. Erinnert mich irgendwie an meine ambitionierten Versuche, mit viel zu weichem Gips im Alter von zehn Jahren die Alpen auf meiner Modelleisenbahn nachzubilden.

Der Fluss Doubs im Herbst – das ist sehr entschleunigend hier. Wir fahren ja meist nur mit 6 km/h, also flotte Schrittgeschwindigkeit. Da hat man viel Zeit zum kucken.


Den letzten Kilometer vor Besançon und vor der Tunneldurchfahrt halten wir zunächst direkt auf die Zitadelle zu. Hier ist Weltkulturerbe! Der Schiffstunnel führt direkt unter der Zitadelle durch.


Was unsere Navigation betrifft, haben wir für die Einfahrt nach Besançon große Sorgen. Laut dem französischen Kanalverwalter VNF kann man den Boucle de Besançon, also die Flussschleife um Besançon herum, bei dem derzeitigen Niedrigwasser nur noch mit Tiefgang bis 1,10 m befahren. Wir wären demnach 20 cm zu tief. Dennoch beschließen wir, eine kurze Strecke in Schleichfahrt zu versuchen. Wir passieren den Tunnel de Tarragnoz unter der Zitadelle hindurch. Danach geht es für uns links direkt ins Niedrigwasser hinein etwa einen halben Kilometer zum Anleger Cité des Arts. Ich stehe schwitzend vorne am Bug und starre ins Wasser, während ich auf Grundkontakt warte. Aber nichts passiert, der Tiefenmesser zeigt durchgehend mindestens 1,5 m unter dem Kiel an. Offenbar ist es so, dass diese kurze Strecke, welche zum ehemaligen Stadthafen führt, ausreichend ausgebaggert ist. Umsonst aufgeregt.

Besançon wirkt nach den ganzen Weilern und Käffern der vergangenen Tage fast großstädtisch.


Auch wenn uns Besançon als Stadt nicht wirklich eingesogen hat, der Ort strotzt von Baudenkmälern. Die Stadt ist jung und quirlig. Die hier ansässige Universität der Franche-Comté mit 21.000 Studenten bei insgesamt 117.000 Einwohnern wie auch die Cité des Arts (Kunstakademie, Schauspielschule und Konservatorium in einem Komplex) spielen dabei sicher eine wichtige Rolle.


Zunächst treibt es uns auf den lokalen Markt – wie auch sonst. Es gibt wieder ein unverschämt verlockendes Angebot. Unsere Kühlschränke sind eigentlich schon voll, aber wir können die regionalen Spezialitäten nicht einfach auslassen. Ich denke darüber nach, neben Frühstück, Mittagessen, Abendessen, Käsebrot, letzteres meist gegen 22 Uhr, eine fünfte Mahlzeit anzusetzen und dafür das Laufprogramm zu intensivieren. Gesagt, getan. Meine Laufrunde des Tages führt mich am Fluss entlang um die gesamte Altstadt herum. Sightseeing laufend.



Die Zitadelle ist hier ein Pflichtprogramm, allein schon wegen des Ausblicks. Der Festungsbaumeister von Ludwig XIV, Herr Vauban, hat hier ganze Arbeit geleistet. Das ist mal eine tolle Burg. Diese Festung ist riesig und scheint uneinnehmbar, wurde tatsächlich wohl auch nie versucht – vor dem zweiten Weltkrieg jedenfalls. Ich bin fasziniert von den Gemeinheiten, die man sich hier für potentielle Angreifer ausgedacht hat.


In der Zitadelle kann man nicht nur alte Steine bestaunen. Ich finde den Zoo im hinteren Bereich der Zitadelle sehr gut. Die verschiedenen Affenarten liefern sich hier ein tolles Schreiduell. Selbst im Burggraben sitzen lauter Affen herum, sehen aus wie Paviane. Sehr gut finde ich das Insektarium mit unzähligen bunten Käfern – hier krabbelt viel. Nachgerade ekelhaft ist die Lehrküche für Schulklassen. Da haben die tatsächlich eine Küche aufgebaut, dort viele Lebensmittel verstaut und alle Schädlinge ausgesetzt, die man sich nur vorstellen kann. Motten, Wanzen, Käfer, alles dabei, und natürlich der gemeine Kakerlak. Mir stellen sich die Nackenhaare auf. Aber interessant ist das.


Tipps:
Nicht verpassen: Les Tables D’Antan, 18 Rue Bersot, wegen leckerer Morbiflettes und den fantastischen Crumbles salés und sucrés


Recht ordentlich: Samourai Sushis, 45 Rue Bersot, riesige Karte mit innovativen Makis
Informativer und unterhaltsamer Bericht mit vielen interessanten Details. Super für uns, denn wir kennen diese Strecke noch nicht. Tolle Bilder. Weiterhin gute Fahrt!
Auch wenn wir viel geflucht haben, wir würden die Strecke wieder fahren! Wenn Ihr mehr Details braucht, sagt einfach Bescheid. Es gäbe noch viel zu erzählen, aber wir wollen die Artikel ja nicht überfrachten.
Diese Strecke klingt aber anspruchsvoll! Was hat A.W.O.L. für eine Höhe?
Liebe Grüsse
Wenn wir alles klappen was geht, kommen wir auf circa drei Meter. Ist aber viel Aufwand. Wenn wir bloß die Persenning absenken, sind wir bei etwas über 3,30 m. Wir wollten das bei Gelegenheit nochmal ganz genau messen, aber bis dato sind wir nirgends hängen geblieben. Jedenfalls nicht oben.