03.08.2019 – Vom Tempelhofer Hafen zur City Marina Rummelsburg – 12 Kilometer – 1,5 Stunden
Auf den letzten Kilometern auf dem Teltowkanal von Tempelhof Richtung Osten tauchen aus der dichten Uferbewaldung immer wieder alte Industrieanlagen auf. Es ist trotz der vielen Bäume sehr urban hier. Keine Brücke, keine Wand, an der sich nicht ein Straßenkünstler ausgetobt hätte. Wir fahren unter unzähligen Brücken hindurch. Klar eigentlich, da wir durch die Südbezirke der Stadt Berlin unterwegs sind.





Wir lassen Tempelhof hinter uns, passieren die Berliner Stadtteile Lichterfelde zur linken und Marienfelde zur Rechten. Südlich des aufgrund seiner Clan-Aktivitäten und verrohten Schulen verrufenen Berliner Kiezes Neukölln gelangen wir an eine Wasserstraßenkreuzung. Der Teltowkanal zweigt hier nach rechts Richtung Köpenick ab. Nach links ginge es auf den Neuköllner Schifffahrtskanal zwischen Neukölln und Alt Treptow hindurch gen Norden. Wir wählen die Mitte und fahren auf dem nur knapp vier Kilometer langen Britzer Verbindungskanal nach Osten. Bei Niederschöneweide biegen wir links in die Spree ein. Von hier aus sind es noch gut drei Kilometer nach Norden in unseren Zielhafen City Marina Berlin Rummelsburg.

Zu meiner Rechts-Links-Schwäche und Bug-Heck-Schwäche gesellt sich seit kurzem eine Burg-Berg-Schwäche. Ich kann mir einfach den Namen dieses Stadtteils in Berlin nicht merken. Nico gibt ne gute Eselsbrücke und erklärt mir, in Berlin gebe es nur drei Berge: den Prenzlauer Berg, den Kreuzberg und den Teufelsberg. Also Rummelsburg. Das hilft.

Beim Gassigehen mit Lisbeth vor der direkt an der Marina gelegenen Boulderhalle ostbloc – coole Location übrigens – fährt ein Berliner auf dem Fahrrad an mir vorbei und blökt mich an: „Immer schön die Kacke mitnehmen“. Ich hasse das. Ich werfe ihm Lisbeths Holzstock hinterher und treffe ihn zum Glück nicht. Meine Impulskontrolle lässt in jüngerer Zeit sehr zu wünschen übrig.

Tags darauf miete ich ein Kajak. Ich will die Umgebung erkunden. In der Rummelsburger Bucht mache ich Fotos von einem hübschen Hausboot. Auf einem alten Lastkahn ganz hinten neben dem Hausboot sitzt ein schmieriger, fetter Typ, den ich zunächst gar nicht sehe. Er brüllt übers Wasser: „Ey Alder! Du machst jetzt keine Fotos von mir!“ Ich brülle zurück: „Mir wäre es auch lieber, wenn du fetter Klops nicht auf meinen Fotos drauf wärst!“ Impulskontrolle…


In der Rummelsburger Bucht herrscht eine Stimmung, die mich an den Film „Waterworld“ mit Kevin Kostner erinnert. Ein Endzeit Action Drama in einer fast vollständig von Wasser bedeckten Welt der Zukunft. Alle verbliebenen Menschen und Tiere leben nur noch auf teils selbstgebauten Booten. Viele Menschen haben sich hier in der Rummelsburger Bucht mit Sack und Pack und Hund und Pflanzen auf Booten einquartiert, welche teils in großen Paketen aneinandergebunden sind und mit einer starken Ankerkette in Position gehalten werden. Bei wechselnder Windrichtung kreisen diese Ankerpacks dann um die zentrale Leine. Ich spreche einige Leute vom Kajak aus an und lasse mir die Geschichten ein wenig erzählen. Ich erfahre, wenigstens einmal im Jahr müssen alle aus rechtlichen Gründen den Platz wechseln, also ein paar Meter weiter neuen Anker setzen. Dachgärten und schwimmende Floßgärten liefern Gemüse, man teilt sich die kleinen Beiboote zu Einkaufsfahrten, und um frisches Wasser aufzunehmen, fahren sie in die Marina. Auch verbringen einige Boote den Winter im Hafen, da die Bucht gerne mal zufriert. Einer der Bewohner erzählt mir, mit seinem Bretterverschlag wäre er schon in Paris gewesen.





Wenn man Gott treffen möchte, dann muss man nur in die City Marina Berlin Rummelsburg kommen. Der Hafenmeister heizt hier gerne mal mit seinem „Einsatzboot“, wie er es nennt, durchs Hafenbecken und produziert dabei mächtige Wellen, nicht so hoch wie bei Moses während des Auszugs aus Ägypten, aber auch nicht ohne. Alle Dauer- und Gastlieger leiden hierunter. Das ist dem Hafenmeister jedoch egal. Denn er kann tun und lassen was er will. Er ist allmächtig. Er ist auch Herr über Strom und Wasser. Auch nach dem siebten Euro, den ich in die Wasserzapfstelle einwerfe, ist unser 600 Liter Tank noch nicht voll. Eine Unverschämtheit ist das. Der Münzeinwurf selbst gestaltet sich zur Geduldsprobe, so jede zehnte Münze wird dann mal akzeptiert. „So a Glump!“, sagt der Bayer.

Eines morgens, als der Hafenmeister wieder die Welle im Hafen macht und mir fast die Tasse vom Tisch rutscht, platzt mir der Kragen. Ich renne raus und brülle hinterher: „Sag mal, geht das auch ohne Welle hier!“ Kurz darauf erscheint Gott an unserem Steg und verfügt, mein Rad habe von ebendiesem zu verschwinden und die Arbeiten am Boot seien unverzüglich einzustellen. Ich hatte am Vortag zwei Fenster neu verfugt. Er fügt noch hinzu, in Zukunft solle ich mir überlegen, mit wem ich mich anlege.
Das kommt nun bei mir nicht so gut an. Ich vermittle ihm auf meine Art und Weise, dass er nicht mit meiner Kooperation rechnen könne. Daraufhin flippt er aus, drängt mich auf dem Steg zurück Richtung Wasser und brüllt mich zusammen. Er würde mich jetzt aus dem Hafen werfen. Die für zehn Tage vorausbezahlte Gastliegergebühr bekäme ich erstattet, usw. Kurz überlege ich, ob ich sein Momentum nutzen soll, um ihn ins Hafenbecken zu schubsen. Ich entscheide mich dagegen. Impulskontrolle läuft! Also bei mir jedenfalls. Er scheint es sich dann später anders überlegt zu haben. Für den Rest unseres Aufenthaltes bekomme ich den Typen glücklicherweise nicht mehr zu sehen.

Der Hafen ist mir schon vor diesem Vorfall nicht unbedingt sympathisch: Die Dauerlieger kommen mir teilweise verschroben und unhöflich vor, aber vielleicht hat meine Frau recht, und ich habe nur kein Verständnis für die Berliner Mentalität. Das Hafenpersonal ist jedenfalls auch nach objektiven Maßstäben chaotisch. Bei Ankunft bekommen wir zunächst einen schönen Liegeplatz zugeteilt. Nach zwei Tagen weist man uns an, in eine Box mit nur 4,35 Metern Breite umzuziehen. Die AWOL ist 4,30 Meter breit. Tolle Idee, aber was sollen wir machen. Immerhin kann man so vom Boot aus den Alex sehen.

Weitere zwei Tage später stellt man fest, dass der Dauerlieger in dieser Box zurückerwartet wird, und wir sollen wieder umziehen in eine andere 4,35 Meter Box. Allerdings gibt es vor dieser neuen Box nur etwa 10 Meter zum Rangieren für unser 15 Meter Boot. Wir lehnen ab. Nach langer Diskussion dürfen wir dann wieder auf den ursprünglichen Platz, welcher seit unserem Umzug leer steht. Kein Bitte, kein Entschuldigung, kein Danke seitens des Hafenpersonals. Wir sind schließlich die Bittsteller. Man fühlt sich von Anfang an nicht willkommen, sondern eher geduldet.

Ohnehin ist der Name Programm. Hier ist richtig viel Rummel, denn im Hafen befindet sich ebenfalls eine Ausflugsbootsvermietung. Die ist recht gut gebucht, und es herrscht ein permanentes Raus und Rein mit ordentlich Geschaukel, viel Seitenstrahlereinsatz und feierwütigen Ausflüglern.
Nachts gibt es vor unserem Boot eine unschöne Lightshow. Die Lampe an einem Abhang über dem Steg geht an, aus, wieder an und wieder aus. Die viele Ratten, die man hier nicht in den Griff zu bekommen scheint, lösen anscheinend den Bewegungsmelder aus. Vielleicht liegt das an den nicht weit entfernten Mülltonnen der Marina.


Aber nicht nur die Ratten lösen den Bewegungsmelder aus. Eines Nachts wacht Barbara vom Geräusch eines Reißverschlusses an der Persenning auf. Da ist jemand auf dem Boot! Sie öffnet die Eingangsluke und leuchtet nach draußen. Der Eindringling duckt sich hinter dem Tisch, was ihn mitnichten unsichtbar macht. Nachdem Barbara ihn beharrlich weiter anleuchtet, sucht er schließlich das Weite und verschwindet mit einem Satz über die Reling.
Am nächsten Morgen sieht Barbara denselben Typen von einem der im Nachbarhafen abgestellten Lastkähne kommen, wo er offensichtlich Unterschlupf für die Nacht gefunden hat. Ein junger Kerl, ausgemergelt, nicht einmal Schuhe hat er. Es lohnt sich nicht, die Polizei zu rufen. Die Sicherheitsvorkehrungen am Hafen sind aber ganz klar unzureichend.
Fazit City Marina Berlin Rummelsburg? Eher nicht! Nächstes Mal werden wir es machen wie so viele hier, nämlich in der Rummelsburger Bucht ankern. Die Gegend gefällt uns nämlich ausgesprochen gut. In der lokalen Hafenküche gibt es leckeres Essen zu akzeptablen Preisen.


Von der Marina aus wäre man, wenn nicht gerade Bauarbeiten auf der Strecke wären, in zwanzig Minuten mit der Straßenbahn am Boxhagener Platz in Friedrichshain, das ist gut. Wir gehen statt dessen zu Fuß hin, um uns mit Nico in ihrem Kiez zu treffen. Die Strecke ist spannend, und man läuft ungefähr 45 Minuten. Nico wiederum verbindet ihr Bouldertraining zweimal mit einem Besuch bei uns an Bord, auch ihr Paul kommt mal mit.
Anderntags gibt es eine nette Abwechslung neben unserem Liegeplatz. Pünktlich zum Feierabendbier taucht eine Truppe von Parkour-Sportlern hinter dem Boot auf und liefert eine tolle Performance auf den im Wasser liegenden Betonquadern ab. Ich erkenne sofort ein Gesicht – das ist doch Benni Grams, einer der Finalisten von Ninja Warrior Germany. Ich bin Fan. Er ist auch Teil der Ashiguru Parcour & Freerunning Truppe, die heute hier am Start ist. Das coole Showreel von den Jungs hier.

Am letzten Tag schwinge ich mich nochmal aufs Rad. Ich möchte mir den Stadtteil Treptow am gegenüberliegenden Ufer ansehen. Um die Rummelsburger Bucht herum, durch den Treptower Park gelange ich zu dem Gelände eines ehemaligen Freizeitparks, Spreepark Berlin. Im Jahr 2001 hat der Betreiber Pleite gemacht. Danach wurde das Gelände großräumig eingezäunt und der Natur überlassen. Ich stehe auf solche Orte. Heute finden hier gelegentlich Workshops statt, und man kann an Führungen teilnehmen. Im Übrigen kann mich (Neu-) Treptow nicht überzeugen.



Bevor es ab dem 17.08.2019 weiter geht in den östlichen Teil von Brandenburg, ins AfD-Hochland, mach ich mir noch die Haare kurz bei Rowdy, einem Barber in Friedrichshain. Ich hoffe, dadurch weniger aufzufallen.

Tipps:
Kajakverleih und Touren bei Backstagetourism auf dem Gelände des ehemaligen Funkhauses Berlin in der Nalepastraße. Die Kajaks sind hier besser als bei anderen Vermietern weiter nördlich in der Bucht, und die Einweisung ist sehr gut. www.backstagetourism.com
Milchbar im Funkhaus, ein cooles Cafe mit Originalausstattung im Bauhausstil ebenfalls im ehemaligen Funkhaus – Vor der Bar kann man auch mit großen Booten anlegen. www.funkhaus-berlin.net
Hafenküche in der Marina Rummelsburg www.hafenkueche.de
Boulderhalle Berlin ostbloc direkt an der City Marina Rummelsburg www.ostbloc.de
Verfallener ehemaliger Spreepark www.gruen-berlin.de/spreepark
Barber Rowdy Friedrichshain www.rowdy-barber.de
Nicos Favourite: Veganes vietnamesisches Restaurant Chay Village in Friedrichshain www.chayvillage.de
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