Zweisprachig ist das hier, jedenfalls meistens. Ich kann mich nicht entscheiden und sage immer „Mülhaus“, wenn ich über die Stadt spreche. Barbara regt sich zunächst darüber auf, denkt zwischenzeitlich, ich wäre blöd, und versteht jetzt, glaube ich, dass ich sie damit nur aufziehen möchte.
Ich nutze unseren 11-tägigen Aufenthalt hier zu einem kurzen Heimatbesuch in Bayern. Nur fünf Stunden Fahrt mit dem Kfz sind das von hier aus. Ein Klacks verglichen mit dem Aufwand, den wir vom Mittelmeer aus unternehmen mussten, um mit Hund und Pack nach Bayern zu kommen.
Wir lassen in Mulhouse fast alle namhaften Sehenswürdigkeiten aus. Weder das Museum Schlumpf noch das Eisenbahnmuseum besuchen wir. Auch Kunsthalle und Museum der Schönen Künste lassen wir liegen. Das Elektrizitätsmuseum sehen wir nicht von innen, weil es aktuell geschlossen ist. Das ist untypisch für mich. Normalerweise renne ich überall rein. Mulhouse ist aber was Besonderes, stelle ich schnell fest. Abseits der großen Sehenswürdigkeiten, wie man sie bei Tripadvisor oder Wikipedia nachlesen kann, bieten sich Sightseeing-Alternativen vom Feinsten für Abenteuerlustige.
Ich entdecke ein kleines Museum gleich hinter der Hauptkirche in der Altstadt, das Maison du Patrimoine Edouard Boeglin – Centre d’Interpretation de l’Architecture et du Patrimoine – ja, so sperrig nennt sich dieses Museum tatsächlich, und der Eintritt ist frei. Dort erfahre ich einiges über die industrielle Vergangenheit der Stadt. Das alte Gießereigelände und das riesige Areal der ehemaligen Textilfabriken, dort insbesondere Dollfus-Mieg & Compagnie (DMC), wecken sofort mein Interesse. Ich sehe mir das auf der aktuellen Stadtkarte an und siehe da, die alten Gebäudekomplexe des späten 18., des 19. und frühen 20. Jahrhunderts scheinen überwiegend noch dazustehen.
1830 wurde der Canal du Rhône au Rhin, auf welchem wir derzeit unterwegs sind, in Betrieb genommen, um die hier benötigten Rohstoffe an- und die gefertigten Produkte abtransportieren zu können. Der Stadthafen, in welchem wir aktuell mit der AWOL liegen, war der erste Industriehafen von Mulhouse in dieser Zeit. Spannend.
Wir besuchen zusammen das Areal der ehemaligen Gießerei (Fonderie) und sind angetan. Im Hauptgebäude, welches toll renoviert und modernisiert wurde, ist nun neben der Kunsthalle auch die Universität des Haut-Alsace untergebracht. Auf dem Areal gibt es Lokale und beeindruckende Loftwohnungen. Alles weitgehend durchgentrifiziert, aber gut gemacht.





Tags darauf fahre ich alleine mit dem Rad auf das Gelände der ehemaligen Textilfabriken DMC. Ich hätte nicht gedacht, dass es in Zentraleuropa Derartiges noch zu sehen gibt. Über weite Strecken entdecke ich Industriebrachen mit Gebäuden aus rotem Backstein und weitgehend intakter Gebäudesubstanz: ein- und mehrstöckige Fabrikationshallen, welche innen und außen von Street-Art-Künstlern bearbeitet wurden. Das Gelände ist so weitläufig, dass man hier ein Fahrrad benötigt, um alles abfahren zu können. Fantastische Bilder und genau mein Ding, was für ein Kreativraum mitten in der Stadt! Ich verstehe nun, weshalb man von der Gegend als das „Manchester Frankreichs“ spricht.
Zugegebenermaßen ist nicht alles einfach so zugänglich. Man muss den ein oder anderen Zaun überwinden. Hier haben die lokalen Street Artists und Junkies jedoch bereits gute Vorarbeit geleistet. Man findet viele Stellen der Durchlässigkeit. Es sieht auch so aus, als würde das unbefugte Betreten hingenommen. Vereinzelt stehen Tore offen und Zaunelemente sind abgebaut. Lediglich an den Gebäuden finden sich große Warntafeln, welche vor Gefahren beim Betreten der Gebäude warnen. Mir doch egal.
Innerhalb der Gebäude wird es etwas gruslig. Teilweise ist es sehr dunkel, und ich stelle fest, dass sich hier noch andere Lebewesen befinden. Ich trete auf etwas Weiches, Decken oder Klamotten. Ich entdecke einige Schlafstätten im Inneren der großen Fabrikationshalle und nehme aus dem Augenwinkel auch Bewegung wahr. In solchen Situationen denke ich immer an den Film „I am Legend“ mit Will Smith, ein krasser Zombiestreifen, den ich erst nach mehreren Anläufen bis zum Ende durchgestanden habe. Will Smith ist der letzte überlebende Mensch in New York, sein Hund mutiert zum Zombiehund, und die lichtscheuen Zombies verkriechen sich tagsüber in alten Ruinen, wo sie ausharren, bis die Nacht anbricht. Ich ziehe mich aus diesem Bereich wieder zurück und lasse in Ruhe, was auch immer hier wohnt.










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