Einhand mit der 15-Meter-Yacht von Antwerpen nach Rotterdam
20. und 21. Mai 2020, 118 km, 11 h, 3 Hebebrücken, 2 Schleusen

Als sich die Brücke vor dem Yachthafen hebt, traue ich der Sache noch nicht ganz. Werden mich die Belgier jetzt wirklich rauslassen? Nach etwas Warten geht auch die Sibiriabrug am Ende des nächsten Beckens auf, direkt neben dem faszinierenden Hafenhaus von Zaha Hadid. Ich fahre in den Industriehafen Antwerpen ein. Als ich mich pflichtgemäß per Funk anmelde und meine FD-Nummer durchgebe, wird dies freundlich registriert. Das scheint also soweit okay zu sein.

Durch die FD-Nummer hat der Hafen sämtliche relevanten Informationen über Boot und Eigner. Ohne diese Nummer darf niemand ins Hafengebiet einfahren. Einmal zugeteilt, gilt sie unbefristet. Die AWOL hat ihre FD-Nummer bereits bei unserer Irrfahrt durch den Antwerpener Hafen in 2017 bekommen.
Der Jachthaven Willemdok liegt ganz am Ende des Hafengebiets, und die Fahrt durch den kommerziellen Hafen bis zur niederländischen Grenze dauert fast zwei Stunden. Die ganze Zeit über erwarte ich, dass die Hafenpolizei auftaucht und mir erklärt, dass das mit der Genehmigung ein Irrtum war. Trotzdem genieße ich die Fahrt. Ich habe eine totale Faszination für große Häfen und buche Hafenrundfahrten, wo immer ich hinkomme – und hier darf ich sogar mit dem eigenen Boot durchschippern.
Vor der Einfahrt in die Schelde-Rhein-Verbindung melde ich mich beim Hafen ab. Ich erhalte keine Aufforderung zum Umdrehen, sondern man wünscht mir gute Fahrt. Der Kanal macht eine 90-Grad-Kurve, und – zack! – bin ich in Holland. Yippie!!! Ich muss mich allerdings auf ein innerliches Freudentänzchen beschränken, denn ich bin ja allein an Bord und sollte möglichst am Steuer bleiben. Außerdem muss ich mich konzentrieren – meine erste Schleuse im Alleingang steht bevor.

Die Kreekrak-Schleuse ist eine riesige Großschifffahrtsschleuse mit überschaubarem Hub. Von meinen zwei vorherigen Passagen weiß ich, dass mich nichts Aufregendes erwartet. Um mich einhand an solche Ungetüme wie meine beiden Hass-Schleusen Sülfeld bei Wolfsburg und Anderten bei Hannover zu wagen, bräuchte ich noch ganz viel Übung, aber das hier erscheint mir machbar, zumal ich ja extra auf zwei windarme Fahrtage gewartet habe.
Ich werde hinter zwei großen Berufsschiffen in die Kammer gelotst. Ein bisschen hatte ich die Befürchtung, dass ich die AWOL vielleicht nicht vernünftig an einem Nischenpoller zum Stehen bekomme. Wenn die großen Schiffe das Wasser stark aufwühlen, könnte es sein, dass mein Boot abtreibt, bis ich vom Steuerstand aus an der Schleusenleine bin. Der Weg ist aufgrund der Konstruktionsweise dieser Yacht unglücklich weit.
Heute ist das Wasser in der Schleuse aber ziemlich still, und ich kann in aller Ruhe die Leine um den Poller legen. Das alleine Schleusen habe ich bereits auf meiner Fahrt mit Schorsch von Münster nach Antwerpen geübt. Allerdings war Schorsch da am Steuer, um mich im Notfall mit den Maschinen zu unterstützen. Bei dieser Schleuse hier habe ich aber gar kein Problem, die 20 Tonnen mit nur einer Leine festzuhalten. Die Fernbedienung für die Seitenstrahler muss nicht zum Einsatz kommen.

Nach der Schleuse geht es noch eine Weile gemütlich auf dem Kanal dahin, bis er schließlich in den Volkerak mündet. Das letzte Mal hatten wir hier ja fieses Wetter, aber heute ist alles ruhig und sonnig. Die Volkerak Yachtschleuse, die ich gegen 17.00 Uhr erreiche, ist ebenfalls völlig unproblematisch.

Als ich aus der Schleuse ausfahre, wird mir allerdings ein Fehler in meiner Planung bewusst. Durch die coronabedingte Verzögerung in Belgien ist es bereits eine ganze Ecke später im Jahr als eigentlich geplant. An der Nordseite der Schleuse ist ein richtig langer Steg, an dessen Innenseite ich eigentlich für die Nacht festmachen wollte. Aber das Ding ist bis auf den letzten Platz voll – wir sind tatsächlich schon mitten in der Saison. Mich irgendwo ins Päckchen zu legen, ist auch keine gute Option, weil die Boote alle viel kleiner sind als meins.

Ich mache also im hinteren Drittel an der Außenseite fest, um die Lage zu checken. Häfen zwischen hier und Rotterdam, in die ich reinpasse, sind dünn gesät. Um die Ecke wäre Willemstad, aber der Hafen ist nicht groß, und ich erwarte in Anbetracht des morgigen Feiertags nicht ernsthaft, dass für mich ein Platz frei ist. Außerdem bin ich seit halb sechs morgens auf und ziemlich kaputt.
Auf meiner Gassirunde mit Xabi (KEIN guter Steg für Hunde, fünfzig Meter langer Gitterrost in zehn Metern Höhe mit Durchblick zum Wasser!) versuche ich rauszukriegen, ob es verboten ist, an der Außenseite des Stegs zu liegen. Ich kann nichts dazu finden und denke an Frankreich, wo man abends auch an den Warteplätzen vor den Schleusen liegenbleiben darf. Inzwischen haben sich noch mehrere Boote vor und hinter mich gelegt.

Eine Viertelstunde vor Sonnenuntergang, ich will mich gerade ins Bett verkriechen, kommt die Durchsage über Lautsprecher, man dürfe dort nicht über Nacht liegen und müsse jetzt bitte den Platz räumen. Die Holländer vor und hinter mir verhandeln über Funk mit dem Schleusenwärter. Letzterer wiederholt immer nur stupide: Het is niet toegestaan – es ist nicht erlaubt. Die Skipper resignieren schließlich und legen ab.
Als ich endlich mit dem Schleusenwärter sprechen kann, erkläre ich ihm, dass ich alleine und nicht mehr fahrtüchtig bin. Er besteht darauf, Deutsch mit mir zu sprechen, aber ich kann ihn nicht echt verstehen. Ich meine gehört zu haben, dass ich, wenn ich alleine bleibe, nicht wegfahren muss. Auch nach mehrmaligem Wiederholen wird es nicht deutlicher. Statt es auf Holländisch oder wenigstens Englisch zu versuchen, gibt er schließlich auf.
Da ich nun wirklich keine Alternative zum Liegenbleiben sehe, gehe ich ins Bett. Ich schlafe nicht gut, weil ich ständig damit rechne, dass ein Polizeiboot neben mir festmacht. Schleusenwärter können ja ziemlich ungemütlich werden, wenn man sich ihren Anordnungen widersetzt – und das im Allgemeinen natürlich zu Recht.

Der Wecker läutet noch vor Anbruch der Dämmerung. Es dauert genau eine Dusche und zwei Cappuccini lang, bis es hell genug ist zum Ablegen. Ich stelle fest, ich habe Nachbarn bekommen über Nacht. Da ich mit den Hunden nicht nochmal über den fiesen Steg laufen möchte, plane ich einen Gassistop in Willemstad, 15 Minuten Fahrt von hier.

Direkt an der Hafeneinfahrt finde ich einen Platz zum Anlegen. Ist zwar verboten, aber wenn ich um sechs Uhr morgens eine halbe Stunde hier parke, wird das hoffentlich niemanden kümmern. Nachdem die Hunde versorgt sind, geht es dann auch weiter über das Hollandsdiep.

Als ich Richtung Norden in den Dordtse Kil einbiege, spüre ich sofort den Vorteil des ungeplant frühen Aufbruchs. Da schon kurz nach zehn Uhr morgens in Rotterdam Niedrigwasser ist, hatte ich damit gerechnet, einen erheblichen Teil der Strecke gegen die Flut zurücklegen zu müssen. Nun aber trägt mich das ablaufende Wasser flott dahin. Sehr zügig bin ich in Dordrecht und im Kanal Noord. Aus der Ferne kann ich einen kurzen Blick auf ein paar Windmühlenflügel von Kinderdijk erhaschen, und schon spült es mich in die Maas.


Obwohl ich so müde bin, hebt die Stadteinfahrt nach Rotterdam meine Laune beträchtlich. Das ist für mich einfach die schönste Einfahrt, die ich kenne. Vor der Erasmusbrug biege ich scharf ab und stehe auch schon vor der Brücke zur Marina. Brücke auf, am Gästesteg angelegt, und der erste Einhand-Törn ist geschafft.

Bis das Hafenbüro aufmacht, gönne ich mir noch ein Schläfchen. Danach beziehe ich mit Hilfe des Hafenmeisters meine Box, denn das ist alleine mühsam – man sieht die Stege vom Steuerstand aus nämlich nicht. Und endlich bin ich zu Hause!

Fazit: Wenn es windstill ist und man nirgends in der Strömung anlegen muss, lässt sich das Ding gut alleine fahren. Durch den Autopilot mit Fernbedienung kann man unterwegs auch mal kurz vom Steuer weg. In der Schleuse oder beim Anlegen kann man notfalls mit der Fernbedienung für die Seitenstrahler arbeiten. Trotzdem bleibt der Yacht Controller mein nächstes Wunsch-Refit. Damit würde ich mich auch alleine auf schwierigere Strecken wagen, und man könnte wahrscheinlich auch gut in Boxen oder rückwärts anlegen.
Hallo Charly,
ich habe deinen Bericht sehr neugierig geradezu verschlungen. Toll, dass du die Muße hattest, so starke Bilder aufzunehmen, die es noch interessanter machen, deinen Bewegungen zu folgen.
Bei den Gitterstegen ist mir spontan eingefallen, ob so Neoprensocken deinen beiden Hunden diese Hetausforderung etwas zu erleichtern.
Unsere führt da auch immer einen Eiertanz auf 😉
Vom Rheinkilometer 501, Christian
Danke! Ich fürchte, mein Bulldog würde sich über Socken mehr aufregen als über den Gitterrost! 😀 Er verträgt das ganz gut mit dem Gitter – in dem Fall ist eher die Höhe mit dem Blick nach so weit unten das Problem. Den Mops muss ich eh tragen.
Wow, gratuliere Captain! Wir wären da schon zu zweit gefordert, da wir die Gegend überhaupt nicht kennen. Bin froh, bist du gut angekommen und erst noch „zuhause“. Liebe Grüsse aus dem windigen Burgund
Ich kannte die gesamte Strecke ja schon. Und ohnehin ist Holland sehr entspannt zu fahren!
Hallo Tochter,
gratuliere zur ersten Alleinfahrt, bin stolz auf Dich (war ich schon vorher)
Schorsch