Port Camargue nach St. Gilles – 4.10.2018 – 8 Std. 40 Min – 31 km
Gypsyboat in Gypsyland
Die Gegend um St. Gilles ist voll gefährlich, liest man überall. Also nicht für Leib und Leben, aber man soll um Himmels Willen nix an Deck liegen lassen, sonst ist es weg. Mit anderen Booten in Gruppen soll man sich zusammentun und nicht allein an einem Treidelpfad anlegen. Warum? Dazu schweigen sich die aktuellen Karten aus, aber in den alten Reiseführern kann man es nachlesen: Die „Zigeuner“. Die Camargue gilt ja seit Jahrhunderten als Gypsyland, nicht zuletzt wegen der berühmter Zigeunerwallfahrt in Saintes-Maries-de-la-Mer.
Wir sind geneigt, das mit den Diebstählen als rassistische Folklore abzutun. Trotzdem, höchst vorsorglich, wie wir Juristen gerne sagen, bringen wir alles unter Deck, was wichtig und/oder teuer ist, als wir allein (!) an einem Treidelpfad (!) kurz vor St. Gilles für die Nacht festmachen. Das sollten wir uns eigentlich sowieso angewöhnen, denn Thomas‘ verschwundene Angelausrüstung ist in Marseille wahrscheinlich auch nicht von selbst vom Schiff gefallen…
Am Morgen des 4. Oktober 2018 haben wir vom Port Camargue aus einen neuen Anlauf in Richtung Norden genommen. Am 20. September waren wir dorthin geflohen vor den Mücken in Aigues-Mortes und um den vorhergesagten Sturm auf der Rhône auszusitzen. Leider hatten wir ja dann das Batterieproblem, danach kam der nächste Sturm auf der Rhône, und schon waren wieder zwei Wochen durch.
Weil wir z.B. Seeteufel in Salzkruste sehr gerne, Stahlschiff in Salzkruste aber weniger mögen, hat Thomas am Vorabend noch bis in die Dunkelheit das Boot abgespritzt. Während der zwei Stürme hatte die Gischt richtig viel Salz über die Hafenmauer getragen und auf der AWOL abgelegt. In diesem Ausmaß kannten wir das noch nicht.

Um 7:10 h starten wir noch im Dunkeln die Motoren. Zunächst geht es darum, die Befestigungsleine backbord vorne, welche unsere Stegnachbarn bei ihrem betrunkenen Anlegemanöver an der Dalbe aus dem Sicherungshaken gezogen und ganz nach unten geschoben haben, wieder einzuholen. Das ist ein komplexes Manöver, da der Wind uns auch noch nach steuerbord drückt. Es klappt aber.
Brücken, Schwimmbagger und andere Hindernisse
Unsere erste Station Le Grau-du-Roi erreichen wir gegen 7:40 h. Das sind nur etwa zwei Kilometer über das Meer bei niedriger Welle. Um 8:00 h können wir die Pont Tournant, eine von zwei beweglichen Brücken in Le Grau-du-Roi passieren. Diese Brücken öffnen in der Wintersaison offiziell nur dreimal täglich, und die Taktung ist denkbar schlecht. In unsere Fahrtrichtung öffnet die erste Brücke (Tournant) jeweils nach der zweiten (Levant). Wir können also um 8:00 h die Drehbrücke passieren und müssen dann bis 12:15 h auf die Hebebrücke warten. Blöd ist das.

Wir legen ein bisschen frech im alten Fischereihafen an. Es gibt keinen Warteponton zwischen den Brücken, was echt ungünstig ist, denn man kann ja schlecht vier Stunden dümpeln. Vielleicht sind die Stege an beiden Ufern vor der zweiten Brücke auch als Wartepontons gedacht und bloß von Dauerliegern belegt, das wäre für Frankreich nicht untypisch. Da die meisten der großen Fischerboote unterwegs sind und aufgrund der restriktiven Brückenöffnungszeiten nicht zurückkommen können, bevor unsere Brücke aufmacht, beschwert sich im Fischereihafen aber niemand. Der Platz gefällt uns gut. Tolle Hafenatmosphäre. Überall liegen tote Fische herum. Thomas nutzt die Zeit, um ein bisschen zu filmen und mit Lisbeth an den nahegelegenen Plage des Artistes zu gehen.



Die zweite Brücke öffnet dann auch pünktlich, und bald sind wir durch Aigues-Mortes durch und wieder auf dem Rhône-à-Sète-Kanal. Es keimt Optimismus in uns auf, dass es nun tatsächlich Richtung Norden geht – bis wir in Gallician auf eine Arbeitsplattform mit Bagger treffen, die im Schritttempo vor uns hergeschoben wird, Überholen unmöglich auf diesem schmalen Kanal.


Wir treffen also deutlich später an der Abzweigung nach St. Gilles ein als geplant, aber immerhin sind die auf der Karte eingezeichneten Naturanleger tatsächlich vorhanden. Sie wirken nicht sonderlich stabil (einer davon ist schon halb zusammengebrochen) und sind auch nicht auf unsere Größe ausgelegt. Trotzdem wagen wir es, dort für die Nacht festzumachen, denn es ist windstill und so gut wie keine Strömung. Der Liegeplatz ist hübsch, aber natürlich wieder von vielen Mücken belagert, deswegen verbarrikadieren wir uns zügig im Boot. Nicht so schlimm, ich muss eh Europa League gucken.


Nachdem wir die Nacht ohne diebische oder sonstige Zwischenfälle überstanden haben, brechen wir am nächsten Morgen endgültig Richtung Petit Rhône auf.
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